Ausgabe 4 / 19. Dezember 2024
Strategie statt Unsicherheit: Wie die Reform tragfähig wird
Für die Umsetzung der Krankenhausreform in der Praxis fehlen oft klare Konzepte und tragfähige Lösungen. Eine Analyse von Sabine Anspach, Geschäftsführerin Unternehmensentwicklung der BBT-Gruppe.
Eine Reform mit Potenzial und Hindernissen
Die Krankenhausreform des Bundes verfolgt ein ehrgeiziges Ziel: Sie soll die Gesundheitsversorgung zukunftsfähig gestalten, Überkapazitäten abbauen und gleichzeitig die Versorgung in ländlichen Gebieten sichern – bei verbesserter Transparenz und hoher Behandlungsqualität.
In der Theorie ein richtiger Ansatz, doch in der praktischen Umsetzung ergeben sich erhebliche Unsicherheiten – insbesondere für kleinere und mittelgroße Krankenhäuser in strukturschwachen Regionen. Zudem fehlen klare Versorgungsziele, die als Grundlage für die Reform dienen könnten.
Andere Länder wie Schweden zeigen, dass erst die Definition regionaler Bedarfe und Versorgungsstandards den Rahmen schafft, um Strukturveränderungen erfolgreich umzusetzen.
Ein weiteres Problem liegt in den „blinden Flecken“ der Reform: Es gibt Konstellationen, in denen die vorgegebenen Instrumente keine ausreichende Lösung bieten, beispielsweise für spezialisierte Einrichtungen in Gebieten mit geringer Bevölkerungsdichte.
Die Herausforderung der regionalen Versorgung
Die Grundversorgung im ländlichen Raum bleibt eine der zentralen Aufgaben der Reform, doch genau hier zeigen sich große Schwächen. Einheitliche Vorgaben, wie aktuell geplant, können den unterschiedlichen Anforderungen in Regionen kaum gerecht werden.
Begriff „Vorhaltefinanzierung“ irreführend
Ein Beispiel: Im Westerwald gibt es mehrere kleine Krankenhäuser, die sich gegenseitig in ihrer Existenz gefährden, da sie ohne ausreichende Unterstützung der Reform nicht zu kooperativen Strukturen zusammenfinden. Hier zeigt sich ein strukturelles Problem: Statt die Zusammenarbeit und Konzentration kleiner Häuser zu fördern, riskiert die Reform ihre Schließung ohne Alternativen. Flexible Konzepte, die auf die spezifischen regionalen Bedürfnisse zugeschnitten sind, könnten diese Entwicklung verhindern.
In diesem Zusammenhang ist der Begriff „Vorhaltefinanzierung“ übrigens irreführend, da er ein stabiles finanzielles Fundament suggeriert. Doch das ist in zweierlei Hinsicht falsch: Erstens ist das Budget nicht an langfristigen realen Kosten orientiert, sondern vielmehr selbst fortlaufend vielen Variablen und Schwankungen unterworfen. Zweitens bietet dieses Instrument keine mittelfristige Planungssicherheit, da erst im Dezember eines Jahres die verfügbaren Beträge des Folgejahres feststehen sollen.
Je nach Konstellation kann es sein, dass ein Haus gar keine Vorhaltevergütung für manche Leistungen erhält, etwa wenn es über eine deutlich bessere pflegerische Personalstärke verfügt als das Durchschnittshaus. Zusammengenommen ist so kaufmännisch solides Handeln nicht möglich. Ohne ein tragfähiges Geschäftsmodell können aber kleinere Häuser ihre Rolle als Grundversorger nicht erfüllen – und die Infrastruktur in vielen Regionen droht zu kollabieren.
Sektorübergreifende Versorgung: Chance oder Belastung?
Die Idee, sektorübergreifende Versorgungseinrichtungen zu schaffen, bietet großes Potenzial, doch in der Praxis fehlt es an Konzepten und verlässlichen Rahmenbedingungen. Ein Beispiel dafür sind MVZ-Strukturen, die die ambulante und stationäre Versorgung miteinander verzahnen könnten.
„Ein zentrales Hindernis ist der Fachkräftemangel“
Besonders geriatrische Patient:innen profitieren von nahtlosen Übergängen zwischen ambulanter, stationärer und pflegerischer Versorgung. Doch die aktuelle Reform setzt hier weder Anreize noch bietet sie wirtschaftliche Sicherheit, um solche Modelle zu fördern.
Unsere Erfahrung zeigt: Um sektorübergreifende Versorgung erfolgreich umzusetzen, braucht es klare rechtliche Vorgaben, langfristige Finanzierungen und den Abbau bürokratischer Hürden.
Ein zentrales Hindernis ist der Fachärztemangel, der besonders in ländlichen Regionen die Umsetzung solcher Strukturen erschwert. In Bereichen wie Psychologie oder Allgemeinmedizin sind MVZ oft nur schwer zu besetzen, was ihre Funktionalität erheblich beeinträchtigt.
Umstrukturierungen und die Rolle der Holdingstruktur
Ein weiterer Schwerpunkt der Reform ist die Umstrukturierung kleinerer Krankenhäuser in spezialisierte Einrichtungen. Obwohl Spezialisierungen sinnvoll sein können, zeigt sich in der Praxis, dass dabei oft wichtige Leistungen der Grundversorgung in einer Region verloren gehen, ohne dass Alternativen geschaffen werden.
Insbesondere in ländlichen Gebieten ist die Sicherung der Grundversorgung von zentraler Bedeutung, doch diese lässt sich gemäß Reform nicht ohne weiteres mit spezialisierten „Fachklinik“-Strukturen kombinieren.
Kooperationen erleichtern
Gleichzeitig gibt es kleinere Krankenhäuser, die in bestimmten Fachbereichen hoch spezialisiert sind und in einzelnen Leistungen deutlich höhere Fallzahlen erzielen als größere Kliniken in ihrer Umgebung. Es wäre unsinnig, diese spezialisierten Häuser daran zu hindern, ihre Expertise weiterhin anzubieten und parallel die Grundversorgung in ihrer Region sicherzustellen.
Grundsätzlich müssen Träger auf notwendige Veränderungen flexibel reagieren können. In der BBT-Gruppe bietet daher eine neue Holdingstruktur eine wichtige Grundlage. In Regionalgesellschaften organisiert können Einrichtungen in übergreifende Netzwerke integriert werden und Kooperationen erleichtert werden. Doch auch hier bleibt entscheidend: Ohne verlässliche Rahmenbedingungen wird der Umbau der Versorgungsstrukturen nicht gelingen.
Ein strategischer Blick nach vorn
Die Krankenhausreform kann ein Schritt in die richtige Richtung sein, doch ihre praktische Umsetzung lässt bisher viele Fragen offen. Eine tragfähige Reform erfordert aber klare Definitionen regionaler Versorgungsziele, stabile Finanzierungsmodelle und die Förderung integrierter Netzwerke. Der Dialog zwischen Bund, Ländern und Trägern ist entscheidend, um praktikable Lösungen zu entwickeln, die auf die regionalen Besonderheiten abgestimmt sind. Ein wirklicher Dialog war aber bisher nicht auf allen Ebenen möglich.
Fehlende Auswirkungsanalysen erschweren es unverändert, fundierte Entscheidungen zu treffen und langfristige Planungen zu konzipieren. Träger wie die BBT-Gruppe können mit ihrer Erfahrung in der Entwicklung regionaler Netzwerke und der Integration spezialisierter Einrichtungen wichtige Impulse geben. Doch nur durch eine strategisch ausgerichtete Reform können Strukturen stabilisiert und den Patient:innen eine bedarfsgerechte Versorgung geboten werden – in Städten wie auch in ländlichen Regionen.
Sabine Anspach ist Mitglied der Geschäftsführung der BBT-Gruppe und verantwortet den Geschäftsbereich Unternehmensentwicklung. Die BBT-Gruppe umfasst mehr als 100 Einrichtungen mit mehr als 15.000 Mitarbeitenden.
Fotos: BBT-Gruppe