Ausgabe 5 / 2. April 2025

Sektorübergreifende Versorgung verlangt integrierte IT-Infrastruktur
Die sektorübergreifende Versorgung erfordert eine entsprechende IT-Infrastruktur. Die Politik muss dafür den Rahmen schaffen. Eine Analyse von Andreas Lockau, Vorsitzender des Bundesverbandes der Krankenhaus-IT-Leiter:innen.
Die Nationale Agentur für Digitale Medizin (gematik) entwickelt bekanntlich die Telematikinfrastruktur (TI) und zentrale Anwendungen: Neben der elektronischen Patientenakte (ePA) als Schlüsselprojekt für die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Leistungserbringern etablieren sich aktuell etwa das E-Rezept sowie der TI-Messenger zur sicheren Kommunikation.
Neben Krankenhäusern, Arzt- und Zahnarztpraxen, Apotheken und Pflegeeinrichtungen sollen noch 2025 z. B. Hebammen, Physiotherapie- und Reha-Einrichtungen sowie der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) angeschlossen werden.

Noch gibt es aber gravierende Einschränkungen: Viele IT-Systeme arbeiten weiterhin isoliert voneinander, sodass ein reibungsloser sektorenübergreifender Austausch von Behandlungsdaten gar nicht möglich ist. Zwar gibt es digitale Lösungen, die den Übergang zwischen stationärer und ambulanter Versorgung erleichtern, aber eine umfassende Kooperation über die gesamte Behandlungskette hinweg bleibt aus. Eine gemeinsam genutzte Plattform für parallele, vernetzte Behandlungsprozesse existiert bislang nicht. Und es wäre zu kurz gesprungen, nur den Arztbrief digital in eine Richtung zu senden, wenn etwa bei einer onkologisch zu behandelnden Patient:en Hausärzt:in, Fachärzt:innen, Krankenhaus und Reha-Einrichtungen gemeinsam die Behandlung begleiten.
Fehlende Standardisierung und Interoperabilität: Ein Hemmschuh für die digitale Vernetzung
Ein zentraler Grund für diese Fragmentierung liegt in den inkompatiblen Standards der Sektoren und der daraus entstehenden ungenügenden Interoperabilität. Die Vielzahl an proprietären Systemen – also Softwarelösungen, die nicht flexibel mit anderen Programmen kommunizieren können, erschwert die Kommunikation zwischen Krankenhäusern, Praxen und weiteren Leistungserbringern erheblich. Vereinfacht gesagt fehlt ein „USB-C für Gesundheitsdaten“, also eine verbindliche, einheitliche Schnittstelle, die verschiedene Systeme miteinander kompatibel macht.
Es braucht klare regulatorische Vorgaben
Die Politik muss jetzt handeln: Ohne eine gesetzliche Verpflichtung auf Interoperabilitätsstandards bleiben Kliniken, niedergelassene Ärzt:innen und Patient:innen von ineffizienten IT-Strukturen abhängig. Es braucht klare regulatorische Vorgaben, die alle Beteiligten zur Nutzung dieser einheitlichen Standards verpflichten. Zudem muss die finanzielle Förderung für IT-Infrastrukturen verstetigt werden. Derzeit sind viele Förderprogramme projektbezogen und kurzfristig, sodass Krankenhäuser auf sich allein gestellt sind, wenn es um eine kostspielige Schnittstellenprogrammierung und Systemintegration geht.
Perspektivwechsel nötig: IT als Behandlungstool statt Verwaltungswerkzeug
Vielfach wird die Digitalisierung im Gesundheitswesen unverändert primär als administratives Hilfsmittel betrachtet, das Prozesse dokumentiert und Abrechnungen erleichtert. Doch aus der Praxis wissen wir: IT kann mehr sein. Sie entscheidet darüber, ob Patientendaten schnell und sicher verfügbar sind oder ob Ärzt:innen weiterhin mit ineffizienten Insellösungen arbeiten müssen. Mit intelligenten Schnittstellen wäre es möglich, administrative Anforderungen gleichzeitig mit der Dokumentation von Behandlungsprozessen zu erfüllen. Hier verbirgt sich ein enormes und bislang weitgehend ungenutztes Effizienzpotenzial.
Damit dieser Wandel gelingt, sollte sich auch die Rolle der IT-Leitungen verändern. IT-Expert:innen sind nicht länger nur „technische Dienstleister“, sondern Mitgestalter:innen des Gesundheitswesens. Daher sollten sie stärker in politische Entscheidungsprozesse auf Bundes- und Landesebene, sowie in die strategische Planung von Krankenhausträgern einbezogen werden. Nur so lässt sich eine IT-Infrastruktur aufbauen, die sektorenübergreifende Versorgungsprozesse effizient unterstützt.
Einsparungspotenzial durch zentrales Datenmanagement und Archivierung
Großes Einsparpotenzial hat die Politik bislang noch gar nicht entdeckt: Krankenhäuser verwalten ihre Daten in aller Regel selbst. Dies tun sie zumeist lokal mit kostenintensiven und technisch anspruchsvollen Lösungen, die leistungsstarke IT-Infrastrukturen und fortlaufende Wartung erfordern. Die Archivierung medizinischer Daten bindet dabei enorme Speicherkapazitäten, wobei jedes Krankenhaus eigene Lösungen entwickeln und Kapazitäten aufbauen muss.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Krankenhausreformen stellt sich daher die Frage, ob nicht zentrale, neutrale Speicherlösungen eine effizientere Alternative wären. Wenn ohnehin viele Krankenhausstandorte umstrukturiert werden, bietet sich die Gelegenheit, Archivierung grundsätzlich neu zu denken. Durch eine standardisierte Langzeitarchivierung ließen sich Kosten senken, Sicherheitsrisiken minimieren und der Zugriff auf relevante Daten erleichtern. In einer mobilen Gesellschaft bietet so ein Zentralregister zudem weitere praktische Vorteile.
Einbindung aller ambulanten und stationären Gesundheitsanbieter
Eine sektorenübergreifende Versorgung kann nur gelingen, wenn wirklich alle Gesundheitsanbieter nahtlos in die IT-Infrastruktur eingebunden werden. Neben Krankenhäusern, Praxen und Apotheken müssen insbesondere Pflegeeinrichtungen und Reha-Kliniken in den digitalen Austausch integriert sein. Der Datenaustausch zwischen stationärer und ambulanter Versorgung wird erst dann effizient, wenn dieser in beide Richtungen funktioniert und relevante Behandlungsinformationen ohne Medienbrüche verfügbar sind.
Doch diese Vernetzung darf nicht nur technisch gedacht werden – sie erfordert auch eine konsequente Berücksichtigung von Cybersicherheit und Datenschutz als integrale Bestandteile der IT-Strategie. Ohne robuste Sicherheitskonzepte bleibt jede digitale Lösung ein Risiko.
Letztlich wird die sektorenübergreifende Versorgung mit all ihren Vorteilen nur dann erfolgreich sein, wenn IT nicht als nachträgliches Werkzeug, sondern als strategisches Fundament der Gesundheitsversorgung verstanden wird – politisch, finanziell und strukturell.
Andreas Lockau ist Vorsitzender des Bundesverbandes der Krankenhaus IT-Leiter:innen e.V. (KH-IT) und Abteilungsleiter IT & Medizintechnik der Niels-Stensen-Kliniken Osnabrück. Der KH-IT vertritt über 440 Krankenhäuser mit mehr als der Hälfte aller Krankenhausbetten in Deutschland.