Ausgabe 5 / 2. April 2025

Reformmodell mit unklaren Regeln
Seit zwei Jahren ist das Marienhospital Ankum-Bersenbrück als Regionales Gesundheitszentrum ein Ort der Versorgung über Sektorengrenzen hinweg. Eine Analyse über politischen Willen, gesetzliche Regelungslücken und offene Finanzfragen von Christian Nacke.
Die typischen Probleme kleinerer Krankenhäuser mit steigenden Kosten, zu geringer Auslastung, Problemen in der Personalgewinnung etc. hatten auch am Marienhospital Ankum-Bersenbrück der Niels-Stensen-Kliniken ein strukturelles Defizit verursacht und Diskussionen um Lösungsansätze vorangetrieben.
Nach mittlerweile zwei Jahren als Pilotprojekt wird wieder und wieder deutlich: Regionale Gesundheitszentren können eine Lösung für eine bedarfsgerechte sektorenübergreifende Versorgung sein. Doch die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen hinken der Realität hinterher.

Typisches Haus der Grundversorgung auf dem Land
Früher war das Marienhospital Ankum-Bersenbrück ein klassisches Landkrankenhaus mit 105 Betten (Chirurgie, Orthopädie, Innere Medizin, Belegabteilungen in der Orthopädie und Geburtshilfe und Gynäkologie), 24/7-Notfallversorgung und Intensivstation. Die schwierige wirtschaftliche Lage hätte 2022/23 zu einer Schließung führen können. Aber in enger Abstimmung mit dem Land Niedersachsen und den Kostenträgern auf Landesebene erfolgte im April 2023 die Umwandlung in ein Regionales Gesundheitszentrum (RGZ).
Im Sinne einer bedarfsgerechten Versorgung waren dafür die Zahlen der Vorjahre analysiert und das RGZ gemäß der häufigsten Fallarten mit Anästhesie, Chirurgie, Innerer Medizin und Orthopädie ausgestattet worden. Der Fokus liegt auf planbaren Eingriffen mit niedriger Komplexität sowie einer ambulanten und kurzstationären Versorgung (15 Betten). Für weitere Disziplinen sowie komplexere Behandlungen werden Patient:innen zu Schwerpunkt- und Maximalversorgern im Verbund der Niels-Stensen-Kliniken weitergeleitet. Die stationären Behandlungen erfolgen nach dem Belegarztprinzip oder über Ärzte des angesiedelten MVZ, während eine neue solitäre Kurzzeitpflegeeinrichtung ergänzend pflegerische Versorgung bietet.
Rechtsrahmen widerspricht politischer Zielsetzung
Die niedersächsische Landesregierung hatte Regionale Gesundheitszentren als eigenständige Kategorie erstmals im Mitte 2022 verabschiedeten Niedersächsischen Krankenhausgesetz verankert. Der Bund wiederum schuf Ende 2024 mit § 115g SGB V eine gesetzliche Grundlage für sogenannte sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen. Das Problem: Beide Regelungen sind nicht sauber aufeinander abgestimmt und § 115g SGB V bleibt vage.
Für das RGZ Ankum führte dies zu einer paradoxen Situation. Einerseits ist es politisch gewollt, ambulante und stationäre Versorgung neu und sektorübergreifend zu organisieren. Und das Land unterstützt uns dabei sehr. Andererseits wissen wir bis heute nicht, welche Leistungen wir langfristig vorhalten dürfen.
„Wir wissen bis heute nicht, welche Leistungen wir langfristig vorhalten dürfen“
Laut § 115g SGB V dürfen sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen zunächst nur Innere Medizin und Geriatrie als stationäre Krankenhausleistungen erbringen. Fachrichtungen wie Chirurgie oder Orthopädie sind nicht enthalten, obwohl sie in vielen kleineren Krankenhäusern zur Grundversorgung gehören – wie auch in Ankum.
Die starre Vorgabe des Bundes ignoriert solche regional notwendigen medizinischen Schwerpunkte, die gerade im Rahmen der Umstrukturierung seitens der Bevölkerung deutlich angefragt wurden. Besonders problematisch ist, dass die Entscheidung über mögliche weitere Disziplinen erst bis Ende 2025 getroffen werden soll. Bis dahin herrscht Unsicherheit, die sich gerade kleine Einrichtungen nicht leisten können.
Funktionales und auskömmliches Finanzierungssystem zwingend erforderlich
Dysfunktional ist auch das Abrechnungssystem: Statt integrierter Regelungen, die die sektorenübergreifende Versorgung abbilden, müssen stationäre Krankenhausleistungen aktuell noch über das DRG-System abgerechnet werden, ambulante Leistungen über die Kassenärztliche Vereinigung (KV) gemäß SGB V und Kurzzeitpflege nach SGB XI. Die spannende Frage ist, welcher Patient welchem System zuzuordnen ist. Das führt zu erheblichem Verwaltungsaufwand, weil die IT funktionale Lösungen finden muss und gleichzeitig für jeden Bereich spezialisierte Abrechnungsexperten nötig sind.
Grundsätzlich benötigen Träger Klarheit darüber, welche stationären und ambulanten Leistungen in einem RGZ abgerechnet werden dürfen und in der Perspektive auch erbracht werden sollen. Die Selbstverwaltung darf hier nicht auf Zeit spielen. Die aktuelle Regelung zu Tagessätzen für stationäre Behandlungen ist weder konkretisiert noch erprobt. Und ob der geplante Mechanismus der degressiven Vergütung ausreichen wird, muss sich erst noch beweisen. Allein die Fragen der Vorhaltung von Leistungen wird ein intensiv zu diskutierendes Thema werden.
„Starre Sektorengrenzen verfestigen unnötiges Konkurrenzdenken“
Die starren Sektorengrenzen im deutschen Gesundheitswesen verhindern sinnvolle Kooperationen: Am RGZ Ankum war ursprünglich vorgesehen, dass niedergelassene Ärzt:innen ihre Patient:innen als Belegärzte bei Bedarf auch stationär betreuen könnten. Doch war kein niedergelassener Arzt bereit, sich auf dieses Modell einzulassen.
Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) sah in den neuen Strukturen eine wirtschaftliche Bedrohung ihrer Mitglieder. Statt Kooperation gab es eine systematische Blockade. In Zeiten des medizinischen Fachkräftemangels war das kaum verständlich. Wir haben dieses Problem mit einem am RGZ angesiedelten MVZ gelöst, welches die belegärztliche Leistung mit angestellten Ärzt:innen übernimmt.
Grundsätzlich aber bleibt es unerlässlich, dass der Gesetzgeber die Zusammenarbeit zwischen regionalen Gesundheitszentren und niedergelassenen Ärzt:innen klar definieren oder aber entsprechende Freiheiten einräumen muss. Krankenhausärzt:innen sollten etwa ambulant behandeln dürfen, um Doppelstrukturen und Versorgungslücken zu vermeiden.
Neue ambulant-stationäre Strukturen nur mit massiven staatlichen Investitionen
Kleine Krankenhäuser, die einen Weg wie das RGZ in Ankum gehen, kommen aus wirtschaftlich angespannten Situationen. Sie sind auch nicht in der Lage, aus dem laufenden Betrieb große Rücklagen zu bilden. Zudem sind sie häufig in älteren Gebäuden beheimatet, deren Grundstrukturen Jahrzehnte, wenn nicht hundert Jahre alt sind.
In diesen Gebäuden moderne RGZ-Infrastrukturen aufzubauen, die auch einem ambulanten Anspruch gewachsen sind, ist aufwändig, mitunter kaum möglich. Daher gehört es zur Ehrlichkeit dazu, dass die Finanzierung solcher Einrichtungen nur mit umfassenden staatlichen Investitionen zur Transformation zu bewerkstelligen ist.
Trotz allem: Der Gedanke der sektorenübergreifenden Versorgung ist richtig und zukunftsweisend. Dafür aber müssen die Reformen praxisorientiert ausgestaltet werden, den Akteuren ausreichend Beinfreiheit gewähren und verlässlich finanziert werden.
Christian Nacke ist Verwaltungsdirektor am Marienhospital Ankum-Bersenbrück der Niels-Stensen-Kliniken.
Fotos: Niels-Stensen-Kliniken