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Die Katholischen Krankenhäuser - Unverzichtbar menschlich

Ausgabe 4 / 19. Dezember 2024

„Ohne Reform des Rettungsdienstes zum Scheitern verurteilt“

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Die Krankenhausreform wird Rettungsdiensten zusätzliche Aufgaben abverlangen. Dabei arbeiten sie schon jetzt am Limit. Rettungsdienstexperte Michael Schäfers erklärt, warum die Reform der Notfallversorgung für unser Gesundheitswesen zwingend ist.

Mit dem Scheitern der Ampelkoalition wurde die geplante Reform der Notfallversorgung gestoppt. Warum ist diese Reform Ihrer Meinung nach dringend notwendig?

Michael Schäfers: Die Notfallversorgung in Deutschland steht vor erheblichen Herausforderungen. Die Einsatzzahlen im Rettungsdienst steigen, obwohl die tatsächliche Zahl akuter lebensbedrohlicher Notfälle nahezu konstant bleibt.

Rettungsdienste müssen oft Aufgaben übernehmen, die eigentlich in andere Versorgungsbereiche gehören – sei es die hausärztliche, pflegerische oder sozialpsychiatrische Versorgung.

Eine Reform hätte die Grundlage für Strukturen geschaffen, die Ressourcen gezielt einzusetzen und alternative Lösungswege für weniger dringliche Fälle zu ermöglichen. Besonders wichtig wäre eine bessere Koordination gewesen, um den wachsenden Anforderungen gerecht zu werden.


Die Krankenhausreform wird zu einer stärkeren Konzentration der Klinikstandorte führen. Welche Folgen hat das für den Rettungsdienst, insbesondere in ländlichen Regionen?

Michael Schäfers: Bereits heute müssen Patient:innen aufgrund fehlender Kapazitäten längere Transportwege in Kauf nehmen. Mit der Reform wird sich dies noch verstärken, da kleinere Krankenhäuser, unter anderem auf dem Land, geschlossen oder in ihrer Funktion eingeschränkt werden.

Zusätzlich werden Verlegungen zwischen Krankenhäusern zunehmen – sowohl Aufwärtsverlegungen, um schwerwiegende Fälle in spezialisierte Zentren zu bringen, als auch Abwärtsverlegungen, wenn Patient:innen nach der Akutbehandlung in kleinere Einrichtungen zur Weiterbehandlung verlegt werden.

Dies erfordert eine stärkere Koordination zwischen den Kliniken und zusätzliche Transporte mit den Kapazitäten der Rettungsdienste.

Transportwege werden länger und Verlegungen zwischen Krankenhäusern häufiger

Welche Maßnahmen sind erforderlich, um den Rettungsdienst und die Notfallversorgung zukunftssicher zu gestalten?

Michael Schäfers: Es braucht eine grundlegende Neuausrichtung, die auf eine differenzierte Notfallversorgung abzielt. Wie gesagt werden aktuell Rettungsdienste häufig für Fälle alarmiert, die keine lebensbedrohlichen Notfälle sind und keinen Rettungswagen oder Notarzt erfordern. Solche Einsätze binden wertvolle Ressourcen.

Die spezielle ambulante Notfallversorgung (SANV), unter anderem mit so genannten Gemeinde-Notfallsanitätern, kann Abhilfe schaffen. Diese Ansätze ermöglichen es, medizinische Probleme vor Ort fallabschließend zu lösen und so Rettungsdienste zu entlasten. Aktuelle Untersuchungen aus Bayern zeigen beispielsweise, dass so etwa ein Drittel der Einsätze bearbeitet werden könnte – ein enormes Entlastungspotenzial.

Darüber hinaus braucht es eine stärkere Verzahnung der verschiedenen Akteure – von den Krankenhäusern über die vertragsärztliche Versorgung und die Rettungsdienste bis zu speziellen ambulanten Diensten – um die Patientenströme effektiver zu steuern.

Wie erklären Sie sich die hohe Zahl von Notrufen, die keine akuten Rettungseinsätze erfordern?

Michael Schäfers: Die Gründe dafür sind vielfältig und betreffen nicht nur demografische Entwicklungen. Zum einen fehlt es in der Bevölkerung oft an Gesundheitskompetenz, also an Wissen über Krankheitsbilder, Erste-Hilfe-Maßnahmen und den richtigen Umgang mit gesundheitlichen Problemen. Zum anderen gibt es eine weit verbreitete Erwartungshaltung, dass der Rettungsdienst jederzeit und in jeder Lage einspringt.

Um dem entgegenzuwirken, ist es wichtig, die Selbsthilfefähigkeit zu fördern, beispielsweise durch die Ausbildung in erster Hilfe bereits in der Schulen und die Einbindung der Bevölkerung in die Rettungskette. Die Zahl unnötiger Einsätze kann so aber nur langfristig reduziert werden. Unabhängig davon müssen Personen, die sich in persönlichen Notlagen an das System der Notfallversorgung wenden, in adäquater Zeit geeignete und angemessene Hilfe erhalten: Patienten:innen bestimmen über den Anlass ihres Hilfeersuchens, das System der Notfallversorgung muss die dann passende Antwort geben.

Bundesweit einheitliche Digitalstrukturen mit Echtzeitdaten zu Krankenhauskapazitäten und Patienteninformationen nötig

Ein differenziertes Notfallsystem erfordert eine effiziente Steuerung. Wie lässt sich das umsetzen?

Michael Schäfers: Zunächst sind bundesweit einheitliche Strukturen des Rettungsdienstes in Deutschland nötig. Denn die sind derzeit von Bundesland zu Bundesland und teils sogar kommunal unterschiedlich. Eine voll integrierte, interoperable digitale Infrastruktur, die sowohl Echtzeitdaten zu Krankenhauskapazitäten liefert als auch für die medizinische Versorgung personenbezogene Daten erhebt und an die jeweils weiterversorgende Stelle übermittelt, würde die Steuerung der Notfallversorgung erheblich verbessern.

Mit qualitätsgesicherten, standardisierten und softwaregestützten Abfragesystemen arbeitende Leitstellen, die als Single Point of Contact agieren, würde eine zielgerichtete Disposition in die richtige Versorgungsebene ermöglicht – ob ein Rettungswagen, ein Notarzt oder ein Gemeinde-Notfallsanitäter erforderlich ist bzw. die Zuweisung in die vertragsärztliche Versorgung erfolgt.

Zusätzlich kann Telemedizin helfen, den Status eines Patienten bereits vorab zu bewerten und die besten Versorgungswege zu identifizieren. Die Luftrettung wird ebenfalls wichtiger, insbesondere in ländlichen Regionen zur Überwindung größerer Distanzen. All diese Aspekte zeigen: Eine moderne Infrastruktur und stärkere Standardisierung sind unerlässlich.

Personalressourcen in Krankenhäusern und Rettungsdienst effizienter nutzen

Angesichts der politischen Situation wird so eine umfassende Reform noch auf sich warten lassen. Welche Folgen hat das?

Michael Schäfers: Der Stillstand ist sowohl für die Krankenhäuser als auch die Rettungsdienste fatal. Beide kämpfen mit einem Fachkräftemangel. Und weiteres Personal fehlt ganz einfach. Umso wichtiger ist es, die bestehenden Ressourcen effizienter zu nutzen und unnötige Einsätze zu reduzieren.

Gleichzeitig bleibt die Finanzierung eine Baustelle: Bisher wird im Rettungsdienst die Transportleistung von der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert. Konzepte wie SANV, die fallabschließende Versorgung vor Ort leisten könnten, fallen durchs Raster. Die umfassende Integration des Rettungsdienstes ins SGB V, wie es der Reformentwurf vorsieht, bietet hier große Chancen.

Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die Krankenhausreform und den Reformbedarf in der Notfallversorgung?

Michael Schäfers: Eine Krankenhausreform ohne Reform des Rettungsdienstes ist zum Scheitern verurteilt. Die künftigen Patientenströme könnten ohne Entlastung an anderen Stellen gar nicht bewältigt werden. Die Krankenhausreform kann nur erfolgreich sein, wenn sie Hand in Hand mit einer Reform der Notfallversorgung geht. Beide Bereiche sind untrennbar miteinander verbunden, denn die Versorgung der Patient:innen endet nicht an der Krankenhauspforte. Notwendig ist ein ganzheitlicher Ansatz, der die stationäre, ambulante und rettungsdienstliche Versorgung als ein Gesamtsystem betrachtet. Die aktuelle Zersplitterung des Systems muss überwunden werden – und das schnell.

Michael Schäfers ist Abteilungsleiter Rettungsdienst der Malteser.

Fotos: Malteser

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